David J. Rauschning, DIE KUNST DER AUSLASSUNG: Montage im szenischen Film, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz und München 2014
Ein Cutter/Editor mag in der Branche noch so gefragt sein, seine Chance auf Popularität ist gering. Die Teamarbeit an einem Film ist insofern undankbar, als der Regisseur das Repräsentationsmonopol besitzt; der Film gilt als sein Werk. So viel virtuoses Handwerk auch in ihm steckt – bemerkt wird nur, was die Bilder zeigen. Was sie nicht zeigen, kann erwartungsgemäß kein Thema sein. Oder doch? Der Filmschnitt galt lange Zeit als umso perfekter, je weniger der Zuschauer ihn bemerkt. Gegen diese Continuity-Konvention (die freilich schon von Godards jump cuts aufgebrochen wurde) wendet sich David J. Rauschning, ein erfolgreicher junger Filmeditor, in einem sehr klugen und kenntnisreichen Essay über „Die Kunst der Auslassung“. Mit seiner Motivation hält er nicht hinter dem Berg: Er will erreichen, dass die Arbeit des Cutters/Editors als eigenständige Leistung gewürdigt wird. Er reklamiert eine „Autorenschaft der Montage“. Zwar „als Ergebnis eines konstruktiven Prozesses zwischen Editor und Regie“ (was sie schon immer war), letztlich aber als „sichtbare Handschrift einer montierenden Instanz“.
Jedes Handwerk hat seine Regeln und seine Philosophie. Die vom Autor versprochene „Versprachlichung der Mittel einer Montage“ resultiert in einem kritischen Regelwerk, dessen Lektüre jedem Profi zu empfehlen ist, denn es geht nicht nur um die intelligente Anwendung spezieller Schnitte (frame cut oder free frame cut? Dip to black oder dip to white?), um die Wahl von cues, die Funktion von bracket sequences etc. Der ausdifferenzierte Begriffskatalog ist anschaulich mit Beispielen aus der Praxis belegt. Rauschning widmet ihn ausdrücklich denjenigen, die am Prozess der Filmmontage beteiligt sind. Er wünscht sich im Schneideraum Verständigung auf Augenhöhe, was das Vokabular betrifft, aber auch in puncto Philosophie. Dies nun ist der interessanteste Aspekt des durchwegs spannenden Essays. Aus der Sprachwissenschaft bezieht der Autor die Definition der Ellipse als Unvollständigkeit eines Satzes, den der Leser unwillkürlich ergänzt. Im Film, der ein narratives Genre ist, wird eine fragmentarische Szene ebenfalls vom Zuschauer im Geist vervollständigt, vorausgesetzt, ihm wurden zuvor Anhaltspunkte geliefert. Ziel dieser Kürzungen ist die Zeitökonomie. Ein Film komprimiert in seiner Erzählzeit mehr oder weniger erzählte Zeit. Die Aufgabe des Editors ist es, zu bewirken, dass die Narration für den Zuschauer gleichzeitig durchsichtig und unvorhersehbar bleibt.
Rauschning weist nun darauf hin, dass die Sehgewohnheiten sich ändern. Das „klassische Kontinuitätskino“ erscheint altbacken. Der Zuschauer hat sich an jump cuts und bracket sequences gewöhnt. Mit dem Lebensrhythmus hat sich seine Aufnahmefähigkeit beschleunigt. Um beispielsweise zu zeigen, dass jemand den Kontinent wechselt, bedarf es nicht mehr der Bilder vom Passieren des Gates und dem Abheben des Flugzeugs; der Protagonist kann mit einem harten Schnitt in die Straßen von New York oder Shanghai versetzt werden. (Allerdings ist auch das eine Bedienung von Klischees). Solche Auslassungen, meint Rauschning, könnten die Aufmerksamkeit des Zuschauers nur steigern. Das genügt aber noch nicht, um sich als Editor zu profilieren. Um Unverwechselbarkeit herzustellen, schlägt er vor, den Schnitt als Mittel der Dramaturgie einzusetzen („tektonische Auslassung“) und die Kontinuität der Narration durch Diskontinuität zu ersetzen – also durch Schnitte, die Rätsel aufgeben: Teile der Handlung vorwegnehmen oder überspringen und nachliefern. Kühnheit und Kalkulation der Montage würden dann die „sichtbare Handschrift einer montierenden Instanz“ ausmachen. Doch würde das etwas daran ändern, dass der Regisseur die künstlerische Verantwortung trägt? Filmarbeit wird Teamarbeit bleiben. – Die Lektüre dieser perfekt formulierten und reizvoll gestalteten Broschüre wird jedenfalls jedem Gewinn bringen, der Filme macht oder über das Filmemachen nachdenkt.